Januar 2000

[expand title=“Franz Schubert – Sinfonie Nr. 6 C-Dur“]

Franz Schuberts erste Sinfonien waren auf Können und Geschmack von Wiener Musikliebhabern zugeschnitten. Sie sind ein Zeugnis für die lebhafte Pflege der Instrumentalmusik in den Wiener Bürgerhäusern und ihr beachtliches Niveau. Die 6. Sinfonie wurde im Oktober 1817 begonnen. Nach Fertigstellung des ersten Satzes unterbrach Schubert die Arbeit an diesem Werk für vier Monate. Die Sätze zwei bis vier entstanden erst im Februar 1818. Dies ist nicht ohne Bedeutung, denn in die Zwischenzeit fiel ein neues künstlerisches Erlebnis: Die Begegnung mit der Musik Rossinis. Seine Spuren sind in den drei im Februar 1818 entstandenen Sätzen nicht zu überhören. Zwar hatte Schubert vor allem als Opernkomponist allen Grund, sich von den leichten Erfolgen Rossinis in Wien in den Schatten gedrängt zu sehen. Trotzdem erkannte er in Rossini das Genie, und wie bereitwillig er war, von ihm zu lernen, beweisen seine eigenen „Ouvertüren im italienischen Stil“. Rossinis leichter, luftiger und schmissiger Stil kam Schubert sehr entgegen, denn er verhalf ihm dazu, das Heimatlich-Wienerische seiner eigenen Tradition ungezwungen freizusetzen, nicht etwa, dieser Tradition untreu zu werden.
Der erste Satz der 6. Sinfonie ist allerdings vom Einfluß Rossinis so gut wie unberührt: Nach einer verheißungsvollen Introduktion setzt unerwartet hoch (in Flöten und Oboen) das Hauptthema ein. Es erinnert nicht nur an Haydns Militärsinfonie, sondern in seiner kecken Jugendlichkeit auch an Weber. Das Seitenthema (Flöte und Klarinette) bildet zwar keinen eigentlichen Kontrast zum Hauptthema, dennoch verdient es Bewunderung, wie selbstverständlich es Schubert gelingt, mit diesen beiden Themen eine höchst lebendige Musik zu entfalten, die uns bis zum letzten Takt in Atem hält.
Der zweite Satz, ein Andante, beginnt mit einem liebenswürdigen, verspielten Thema, abwechselnd von Violinen und Holzbläsern vorgetragen. Der harmlose Schein trügt: Der Mittelteil bringt ein neues triolisches Motiv mit heftigen Akzenten, jähen dynamischen Kontrasten und einigen unerwarteten Harmoniewechseln. Die Reprise des Anfangsteils schließlich verbindet auf kunstvolle Weise das Hauptthema der Rahmenteile mit dem Triolen-Rhythmus des Mittelteils.
Der dritte Satz ist an Beethoven orientiert, die Scherzi der ersten wie auch der siebenten Sinfonie standen hier Pate. Der bissige, ungebärdige Humor des großen Vorbildes erscheint hier allerdings etwas gemildert durch Schuberts freundlichere, schalkhaftere Züge. An Beethovens 7. Sinfonie erinnert auch der kühne, abrupte Übergang zum Trio in E-Dur und die ebenso abrupte Rückleitung nach C-Dur durch einen einzigen Fortissimo-Akkord.
Der vierte Satz ist das eigentliche Meisterstück dieser Sinfonie. Im Grunde gibt es in diesem Finale gar kein Hauptthema, sondern alle Themen sind gleichwertig und lösen in unaufhörlichem Wechsel einander ab. Nur wenige Fermaten unterbrechen als kurzes Atemholen dieses turbulente Treiben, und man erkennt, wie die Einflüsse Rossinis, der damals ganz Wien verhexte, auch Schubert in seiner eigenen Wienerischen Phantasie beflügelte.

G., Januar 2000

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[expand title=“Justin Laird Weaver – Overture to The Bad Room„]
Während meines Aufenthalts in Santa Barbara, Kalifornien, 1997/98 spielte ich im dortigen Universitätsorchester mit. Eines Tages im Frühjahr 1998 wurde das Orchester gebeten, an Stelle einer regulären Probe einige Stücke von Nachwuchstalenten aus dem Komponierkurs anzuspielen, damit die Studenten einen Eindruck von ihren Kompositionen erhielten. Ein Werk fiel mir auf: Die Ouvertüre zu „The Bad Room“ von Justin Laird Weaver. Ein fröhliches Stück mit vielen witzigen und pfiffigen Elementen. Obwohl wir aus Zeitmangel nur Teile angespielt hatten (und das Stück noch nicht einmal in seiner endgültigen Form vorlag), waren mein Pultnachbar und ich überzeugt, daß es aufgeführt werden müßte, und wir ließen es auch den Komponisten wissen. Als ich ihn einige Tage später bei einem Konzertbesuch wieder traf, bat ich ihn, sich mal bei mir zu melden, wenn die Komposition fertig sei. Vier Wochen später hatte ich die Partitur und eine schaurige selbstgebrannte CD mit unseren Anspielversuchen im Briefkasten. Eineinhalb Jahre später kommt die Ouvertüre zu „The Bad Room“ nun endlich zur Uraufführung. Hier eine Übersetzung des Vorworts von Justin Laird Weaver in der Partitur zur Ouvertüre zu „The Bad Room“:

„Beim Hören der Filmmusik zur Komödie „Peewee’s großes Abenteuer“ kamen mir die ersten Takte zur Ouvertüre zu „The Bad Room“ („Der Raum des Lasters“) in den Sinn – ein davoneilendes Thema für Klavier und Streicherpizzicato. Ich begann, Ideen für eine Parodie in der Form der klassischen Ouvertüre zu sammeln. Die Themen der Ouvertüre bilden den Rahmen einer komischen (noch nicht existierenden) Oper. Das flotte „Hotelthema“ läßt ein geschäftiges Durcheinander erahnen, während das plötzlich aufkommende „Thema der Liebenden“ einen melodramatischen Höhepunkt darstellt. Beim „Katastrophenthema“, das am Ende der Oper stehen soll (und am Ende der Ouvertüre) wird es sich höchstwahrscheinlich um ein als Katastrophe empfundenes Ereignis im persönlichen Umfeld der Hauptdarsteller handeln, aber nichts von weittragender Bedeutung.“

Ein wichtiges Gegenthema leitet sich ab aus der Umsetzung des Namens der Protagonistin „Andrea“ modulo 12. Hält man sich diese Motive und die Vorstellungen, die mit ihnen verbunden sind, vor Augen, kann man sich schemenhaft ein Stück mit vaudeville’schen Wendungen, nicht erwiderter Liebe und zufälligem Glück und Unglück vorstellen. Was aber ist „Der Raum des Lasters“? Das Auf und Ab emotionaler Spannung? Eine subtile Anspielung? Einfach nur ein wirkungsvoller Titel? Ein bißchen von allem? Ich weiß es selbst nicht!

Die Harmonien, Melodien, Gesten und Rhythmen meiner Ouvertüre lehnen sich stark an russische Komponisten an, insbesondere Schostakowitsch, dessen 1. Satz aus der 15. Symphonie eine Orientierungshilfe für mich war. Auf der anderen Seite gibt es amerikanische Einflüsse – Bernsteins Ouvertüre zu „Candide“ hat in meinem Stück deutliche Spuren hinterlassen, ebenso wie die Filmmusiken von Danny Elfman. Es gibt zwar keine echten Zitate in diesem Stück, aber dennoch eine Handvoll Andeutungen auf andere Stücke, oft subtil in der Orchestrierung versteckt. Als Beispiel sei nur der C-Dur-Akkord am Ende des Stückes erwähnt, der identisch ist mit dem H-Dur-Schlußakkord in Wagners „Tristan und Isolde“ – zugegeben eine winzige Andeutung.

Die Harmonik der Ouvertüre wird beherrscht von Dreiklängen mit ein paar Überraschungen hier und da – Dissonanzen, komisches „aus der Reihe Tanzen“ und gelegentliches Chaos! Dieses Stück ist mit einer gehörigen Portion Selbstironie ausgestattet und ruft hoffentlich bei jedem zumindest ein Schmunzeln hervor. Viel Spaß!“

Justin Laird Weaver wurde am 17. August 1978 in Tarzana, Kalifornien, geboren. Er wuchs auf in Woodland Hills, einem Vorort von Los Angeles, wo er das erste Mal im Kirchenchor mit ernster Musik in Berührung kam. Bald nahm er Klavierunterricht bei Patricia Barr und Dr. Howard Barr, Freunde des amerikanischen Komponisten Paul Creston. Im Alter von 9 Jahren fing er an zu komponieren, ohne jedoch Unterricht zu nehmen. Erst nach seinem Schulabschluß bekam er an der Universität von Kalifornien in Santa Barbara (UCSB), wo er Komposition und Linguistik studiert, den ersten professionellen Kompositionsunterricht bei Jeremy Haladyna. Eine ganze Reihe seiner Stücke wurden in UCSB uraufgeführt, und er hat zweimal den Sherril C. Corwin Metropolitan Theatre Award in Musikkomposition gewonnen. Zur Zeit studiert er bei William Kraft, dem ehemaligen „Hauskomponisten“ und Paukisten des Los Angeles Philharmonic Orchesters. Während Weavers erste Werke geprägt sind von Dissonanzen, 12-Ton-Technik und/oder kaleidoskopischer Überlagerung der Motive, sind seine jüngeren Werke mehr tonaler oder minimalistischer Natur, und oft beeinflußt von Pop- und Theatermusik.

Olaf Herbst, Januar 2000

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[expand title=“Max Steiner – Gone with the wind“]
Die Geschichte der Filmmusik läßt sich grob in zwei Abschnitte teilen: Musik vor und Musik nach der Erfindung des Tonfilms. In der Zeit der Stummfilme wurde Musik als unabdingbar empfunden, um einerseits die Handlung zu illustrieren und zu verdeutlichen und um andererseits (ganz profan) die Geräusche der Projektoren zu überspielen. Meist wurde diese Aufgabe von einem Pianisten übernommen, der spontan zu ablaufenden Filmszenen am Instrument improvisierte. Nur in wenigen großen Kinos gab es ein Orchester oder ein kleineres Ensemble, das die Filme begleitete. In diesen Fällen wurden häufig passend erscheinende Werke der klassischen Musik zur Untermalung der Handlung genutzt. Extra zu Filmen komponierte Musik bildete die Ausnahme, da in diesem Fall ein fest zusammengestelltes Ensemble mit den Filmen in die Vorführungsorte reiste.
Nach Einführung des Tonfilms änderte sich dies grundlegend, da Live-Musik nicht mehr nötig war. Die Möglichkeiten zur Ausgestaltung von anspruchsvollen Filmmusiken führten dazu, daß sich auch „ernste“ Komponisten, vor allem in Europa, mit der neuen Gattung auseinandersetzten. So entstanden ab den 30er Jahren Filmmusiken von Prokofiew, Schostakowitsch und Kabalewsky in Rußland, von Milhaud und Honegger in Frankreich oder von Britten, Walton und Bliss in England. Zu Beginn der 40er Jahre hatte sich die Filmmusik als eigenständige Kompositionsgattung etabliert.
Die Situation der Komponisten in Hollywood war etwas anders, da die dort ansässigen Studios, bei einer Produktion von ca. 400 Filmen jährlich, mehr und mehr dazu übergingen, Komponisten fest zu engagieren, die zu jedem Film Musik zu liefern hatten. Desweiteren leisteten sich die Studios eigene Orchester und fest angestellte Dirigenten, um eine reibungslose Produktion zu gewährleisten.
Die meisten der Studiokomponisten kamen vom New Yorker Broadway oder von Operetten- und Revuetheatern in Mittel- und Osteuropa. Dies erklärt die starke stilistische Anlehnung an Komponisten wie Tschaikowsky, Rachmaninoff, Wagner oder Richard Strauss.

Maximilian Raoul Walter Steiner („Gone With the Wind“)

(so sein gesamter amtlicher Name) wurde am 10. Mai 1888 in Wien als Sohn einer angesehenen Musikerfamilie geboren. (Sein Taufpate ist immerhin Richard Strauss.) Schon früh zeigte er musikalisches Talent. Er studierte ein Jahr lang an der Kaiserlichen Musikakademie seiner Geburtsstadt und schrieb im Alter von 14 Jahren eine Operette, die er selbst am Orpheum-Theater dirigierte und die sich ein Jahr lang auf dem Spielplan halten konnte. In den Jahre 1905 bis 1911 arbeitete Steiner als Dirigent von Musicals und Musik-Revues in London, Paris, Berlin, Moskau und Johannesburg. 1914 ging er in die USA und verdiente sich seinen Lebensunterhalt zunächst als Dirigent und Arrangeur am Broadway.
Fünfzehn Jahre später, 1929, wechselte er nach Hollywood, wo er zu einem der erfolgreichsten Komponisten in der Geschichte des Tonfilms wurde. Er vollendete über 300 Partituren zu Filmen wie „Cimarron“ (1931), „King Kong“ (1933), „The Informer“ (1935), „The Life of Emile Zola“ (1937), „The Adventures of Mark Twain“ (1944) und „The Big Sleep“ (1946). Max Steiner starb am 28. Dezember 1971 in Hollywood.
Die Musik zu „Gone With the Wind“ entstand im Jahr 1939 und gehört zur Kategorie der „funktionalen Filmmusik“. Im Gegensatz zur „realistischen Filmmusik“, die integraler Bestandteil der Handlung des Films ist, hat die funktionale Filmmusik die Aufgabe, die Handlung zu kommentieren, eine intendierte Stimmung zu unterstützen und auch Stimmungswechsel vorzubereiten.
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[expand title=“John Williams – Star Wars“]
John Towner Williams ist wohl der bekannteste und gefragteste Filmmusikkomponist unserer Tage. Geboren wurde er am 8. Februar 1932 in New York. Seine kompositorische Ausbildung erhielt er bei Mario Castelnuovo-Tedesco und an der Juillard School of Music. Nachdem er zunächst als Pianist des 20th Century Fox Studio Orchestra gearbeitet hatte, begann er Ende der 50er Jahre Partituren für Filme und Fernsehproduktionen zu komponieren und zu arrangieren. Seinen ersten Welterfolg errang er dabei mit der Musik zu Steven Spielbergs Film „Der weiße Hai“. Weitere bekannte Partituren von Williams sind diejenigen zu „Superman“, „E. T.“, „Unheimliche Begegnung der dritten Art“, In einem fernen Land“, „Sabrina“ und „Schindlers Liste“.
Der „Main Title“ aus „Star Wars“ ist die wahrscheinlich bekannteste Musik von John Williams, der sich hier deutlich an Gustav Holsts symphonischer Suite „Die Planeten“ orientiert.

Michael Meyer-Frerichs, Quelle: Artikel „Film music“, „Steiner, Max“ und „Williams, John“, in: The New Grove Dictionary of Music and Musicians
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[expand title=“Leonard Bernstein – Divertimento for Orchestra“]
Leonard Bernsteins „Divertimento“ ist Ausdruck seiner „Liebesaffäre“ mit der Stadt seiner Jugend und ihrem Sinfonieorchester, für dessen hundertjähriges Jubiläum im Jahre 1980 er dieses Werk geschrieben hat.

Es ist eine Art musikalisches Poesiealbum, voll mit persönlichen Erinnerungen an seine Jugend in der Stadt Boston, insbesondere aber auch voller Erinnerungen an die ersten Konzertbesuche seiner Kindheit, als er das Boston Symphony Orchestra und die Boston Pops hörte.

Das Divertimento ist eine Folge von musikalischen Miniaturen, die alle auf zwei Noten beruhen: B (entspricht in der deutschen Nomenklatur dem Ton H) für „Boston“ und C für „centennial“ (Hundertjahrfeier). Dieses winzige musikalische „Atom“ bildet die Keimzelle für alle thematischen Ideen. Aus dieser Keimzelle heraus läßt Bernstein kurze Tanzsätze unterschiedlichen Charakters entstehen, die Gefühlsskala reicht von „introvertiert“ bis „auftrumpfend“, die kompositionstechnischen Mittel von schlichter Diatonik bis zum zwölftönigen Kanon.

Dem Eröffnungsstück Sennets and Tuckets (eine Shakespearesche Regieanweisung für „Fanfaren“) folgt ein Walzer für Streicher allein (wohl der einzige Walzer im 7/8-Takt …) und eine leicht melancholische Mazurka für sechs Holzbläser und Harfe. Die rassige Samba und der skurrile Turkey Trot sind für volles Orchester geschrieben, der Blues ist dem „Brass“ mit Schlagzeug und Klavier vorbehalten. Dem fetzigen Marsch am Schluß (Motto: „The BSO Forever“) geht ein ruhiger meditativer Kanon für drei Flöten voraus, in der Partitur „In Memoriam“ bezeichnet: Er ist den verstorbenen Dirigenten und Mitgliedern des Boston Symphony Orchestra gewidmet.

Die Uraufführung des Divertimentos durch das Boston Symphony Orchestra unter Seiji Ozawa fand am 25. September 1980 in Boston statt.

Jack Gottlieb/Thomas-Michael Gribow, Januar 2000

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