Januar 2003

[expand title=“Ludwig van Beethoven – Sinfonie Nr. 4 B-Dur op. 60″]

Beethovens vierte Symphonie wird in einer Kritik von 1811 von der Allgemeinen musikalischen Zeitung als „heiter, verständlich und sehr einnehmend“ bezeichnet. Tatsächlich wirkt sie zwischen den beiden unmittelbar benachbarten symphonischen Werken geradezu harmlos – der Ton ist weniger heroisch-pathetisch als locker und freundlich; weitgehend fehlt die große Geste und die dramatische Wucht, die die bekannteren der Beethovenschen Symphonien auszeichnen.

Der Zeitpunkt der Entstehung wird festgelegt auf den Spätsommer/Herbst 1806. Im März 1807 wurde die Vierte bei einem Privatkonzert im Hause des Fürsten Lobkowitz uraufgeführt. Gelegentlich wird ein relativ fragwürdiger Zusammenhang zwischen Beethovens Zuneigung zur Gräfin Josephine von Brunsvik und der Vierten hergestellt, der aber nicht nachzuweisen ist; sonst scheinen die biographischen Umstände entweder schwer zu verfolgen oder nicht sonderlich erwähnenswert zu sein. In jedem Fall gehört diese Symphonie in das Jahr, das als Beethovens produktivstes gilt; er befindet sich zu dieser Zeit in einem wahren ‚Schaffensrausch‘.

Der erste Satz Adagio – Allegro vivace beginnt mit einer traumverlorenen, wie erstarrt wirkenden Einleitung, die eine Stimmung der gespannten Erwartung auf das Kommende erzeugt, vielleicht aber auch einen Schatten wirft. Im Übergang zum Allegro bricht das gesamte Orchester schließlich in vollem Forte in den lang vorbereiteten und erwarteten F-Dur-Akkord aus, der sich dann zum jubelnden B-Dur-Dreiklangsthema fortentwickelt. Immer wieder zeigt sich das dynamische Hauptthema (wegen der aufsteigenden Vorschläge auch als „Rollthema“ bezeichnet); lediglich in der Durchführung scheint es sich zurückzuziehen, an Kraft und Elan zu verlieren – doch die Reprise nimmt es mit voller Kraft, ähnlich einem Befreiungsschlag wieder auf.

Der zweite Satz Adagio ist sehr großräumig angelegt; die Aufführungsdauer ist in etwa so lang wie die des Kopfsatzes. Der Kontrast zum ersten Satz, der Übergang von großer Dynamik zur Innigkeit und Ruhe, tritt sehr stark hervor. Zwei voneinander unabhängige Elemente bestimmen den Satz: das prägende, kurz angebundene Quartenmotiv („Paukenmotiv“) in den Streichern und die absteigende Kantilenenfigur in den hohen Streichern und Holzbläsern.

In Bezug auf dieses Adagio, das als „eigentlicher Inbegriff“ des „erhabenen … und gefühlstiefen Beethovenschen Adagio“ bezeichnet wurde, teilen sich die Vorstellungen: E. Ansermet beispielsweise sieht es als eine „Naturbetrachtung“, Schering als eine heimliche Vertonung des Schiller-Gedichts Sehnsucht.

Der dritte Satz Allegro vivace – Trio, ein „typisches“ Beethoven-Scherzo, ist in alter Menuett-Tradition mit Vorder- und Nachsatz angelegt; trotz des ¾-Taktes dominiert ein (hemiolischer) Zweierrythmus. Die thematische Basis ist der aufwärts stürmende gebrochene B-Dur-Dreiklang – eine Reminiszenz an das Kopfthema des ersten Satzes. Das folgende Trio behält B-Dur bei sowie den auftaktigen Impuls des Scherzos, doch verlangsamt ein wenig dessen Schwung. Eine „kindlich rührende, zu Herzen dringende Melodie“ (Nef) erklingt in den Holzbläsern, darunter der pathetisch-unheimliche Teppich der Streicher.

Gegen Schluß, nachdem sich Scherzo- und Triothema einige Male abgewechselt haben, wollen die Hörner zu einer neuerlichen idyllenhaften Triosequenz anheben und werden von einem Fortissimo-Schlag zum Schweigen gebracht, der den ganzen Satz beendet.

Das Finale Allegro ma non troppo drängt mit großer Heftigkeit vorwärts; die immer wiederkehrenden Sechzehntelkaskaden der Streicher lassen die Bewegung nicht zur Ruhe kommen. Zwar schleicht sich als Seitenthema eine lieblich-ruhige Bläserfigur ein, doch auch sie wird bald vom allgemeinen Eilen fortgespült. Im Takt 343ff. wird die Hektik durch zwei Fortissimo-Schläge und eine Generalpause gewaltsam angehalten und das Sechzehntelmotiv von hohen Streichern und Fagott in einem Bruchteil des Tempos noch einmal vorgeführt; der scheinbar unaufhaltsame, perpetuum-mobile-artige Prozeß zeigt sich als vom allmächtigen Komponisten kontrolliert und manipulierbar. Und doch ist die Schnelligkeit essentielles Charakteristikum dieses Schlußsatzes – Beethoven zeigt es, indem er mit rasanten Sechzehntelmotiven furios endet.

Berenike Schröder, Januar 2003

[/expand]

[expand title=“Georges Bizet – Jeux d’enfants“]

Georges Bizet wurde 1838 als Sohn eines Friseurs in Paris geboren. Er war ein musikalisches Wunderkind und studierte schon mit neun Jahren am Pariser Conservatoire, wo Gounod und Halevy zu seinen Lehrern gehörten. Im Mittelpunkt seines Schaffens stehen Opern, Operetten und Schauspielmusik. „Carmen“ wurde zu einem Welterfolg und ist bis heute die am häufigsten gespielte Oper neben der „Zauberflöte“. Im Konzertsaal begegnet man häufiger den beiden „Arlésienne“-Suiten. 1871 schrieb Bizet zwölf kleine Stücke für Klavier zu vier Händen. Einige dieser Jeux d’enfants (Kinderspiele) instrumentierte er und fügte sie zu einer kleinen Suite für Orchester zusammen:

Marsch: Ein Junge spielt mit seinen Zinnsoldaten … Die Nachahmung eines Militärmarsches, mit kurzen Trompetenfanfaren und „pointierten“ Trommelrhythmen. Berceuse: Im wiegenden Sechsachteltakt singt ein Mädchen seine Puppe in den Schlaf. Impromptu: Ein Kreisel wird in geschwinde, surrende Drehung gebracht und kommt nach kurzer Zeit zum Stillstand. Das gleiche Spiel wiederholt sich noch einmal. Duo: Ein kindliches „Liebesduett“ zwischen dem „Kleinen Mann“ (Celli) und der „Kleinen Frau“ (Violinen). Galopp: Ein fröhlich-brillanter Abschluß.

Standen die vierhändigen Klavierstücke noch unter dem Einfluß von Schumanns „Kinderszenen“, so überzeugt die Orchesterfassung der „Jeux d’enfants“ durch Originalität, Witz und Treffsicherheit in der musikalischen Darstellung einer französischen Kinderstube.

Thomas-Michael Gribow, Januar 2003

[/expand]

[expand title=“Arthur Honegger – Cellokonzert“]

Arthur Honegger, zwischen zwei Kulturen aufgewachsen, vereint in seiner Musik deutsche und französische Einflüsse. Geboren 1892 in Le Havre als Sohn eines Zürcher Kaufmannes, wurde er in Paris Schüler von d’Indy und Widor und schloß sich 1920 der von Jean Cocteau initiierten „Groupe des Six“ an, zu der auch Milhaud und Poulenc gehörten. Weltruhm erlangte er vor allem durch sein Oratorium „König David“ (1975 von der AOV aufgeführt) sowie das Orchesterstück „Pacific 231“.
Das Cellokonzert entstand im Sommer 1929 und ist ein heiteres, spielfreudiges Werk von knappen Ausmaßen: Die drei Sätze gehen pausenlos ineinander über und dauern zusammen nicht mehr als 17 Minuten.
Im ersten Satz folgt auf ein einleitendes Andante ein Allegro in Sonatenform. Abschließend wird das Andante wiederholt, wobei diesmal die melodischen Phrasen den Holzbläsern zugeteilt sind und vom Solo-Cello virtuos umspielt werden.
Der zweite Satz, Lento, schließt sich unmittelbar an und ist als dreiteilige Liedform (ABA) gebaut.
Zwischen dem zweiten und dritten Satz gibt Honegger dem Solisten die Möglichkeit, eine Solokadenz nach freier Wahl zu spielen („Cadence ad libitum“). David Drost spielt in unseren Konzerten die Kadenz von Maurice Maréchal, dem Cellisten der Uraufführung, dem das Konzert auch gewidmet ist.
Das Finale (Allegro marcato) setzt mit einem kecken, rhythmisch gehämmerten Hauptthema ein. Auch das gefühlvolle Seitenthema wird vom Solisten ausgebreitet, allerdings „stören“ ihn dabei die Bläser mit grellen Einwürfen auf drastisch-humorvolle Weise. Das Konzert endet nach einer Remininszenz an den Anfang des ersten Satzes abrupt in einem stürmischen Presto.

Thomas-Michael Gribow, Januar 2003

[/expand]

[expand title=“Darius Milhaud – Le boeuf sur le toit“]

Darius Milhaud, im gleichen Jahr wie Honegger geboren, entstammt einer seit Jahrhunderten in Südfrankreich ansässigen Familie. Seine Jugend verbrachte er in Aix-en-Provence, studierte am Pariser Conservatoire bei Dukas und Widor, ging 1917 für ein Jahr nach Brasilien als Sekretär des französischen Botschafters – kein Geringerer als Paul Claudel. 1919, kurz nach seiner Rückkehr nach Frankreich, schrieb er eine seiner populärsten Kompositionen:

„Noch immer verfolgten mich die Erinnerungen an Brasilien, und so unterhielt ich mich damit, ein paar populäre Melodien – Tangos, Maxixes, Sambas und sogar einen portugiesischen Fado – zusammenzuschreiben; zwischen jede fügte ich ein rondoartiges Thema ein. Ich benannte diese Phantasie:

Le boeuf sur le toit (Der Ochse auf dem Dach) – der Titel eines populären brasilianischen Liedes. Ich glaubte, daß der Charakter dieser Musik sie zur geeigneten Begleitung für einen Film von Chaplin machen würde … Cocteau war von der Idee nicht angetan und … komponierte ein Szenarium für eine Ballettpantomime, das man zu meiner Musik verwenden konnte. Es zeigte eine amerikanische Bar während der Prohibition.“

Das Ballett hatte nur mäßigen Erfolg, die Konzertfassung der Musik fand jedoch bald großen Anklang. Ein typisches Stilmittel Milhauds auch in diesem Werk ist die Polytonalität: Stellenweise wird gleichzeitig in zwei, drei oder vier verschiedenen Tonarten musiziert, wobei es zwangsläufig zu harmonischen Reibungen und „Kollisionen“ kommt, die aber nie den Rahmen der Tonalität sprengen.

Thomas-Michael Gribow

[/expand]

[expand title=“Solist: David Drost„]

1978 in Göttingen geboren, erhielt David Drost mit acht Jahren seinen ersten Cellounterricht bei Joachim Müller. Von 1998 bis 2006 absolvierte er ein Cellostudium an der Universität der Künste Berlin, u. a. bei Wolfgang Boettcher (Abschluss mit dem Konzertexamen) sowie 2000/01 als Fulbrightstipendiat an der Juilliard School New York bei Zara Nelsova.

Er belegte Meisterkurse bei Wolfgang Boettcher, Frans Helmerson, Marc Johnson, Martin Löhr und Heinrich Schiff.

David Drost ist sowohl als Cellist wie auch als Pianist mehrfacher Bundespreisträger beim Wettbewerb „Jugend musiziert”. 1997 erhielt er ein Stipendium zur Teilnahme am Eastern Music Festival in Greensboro, North Carolina, wo er mit dem Cellokonzert von Antonin Dvorak den „Concerto Competition” gewann. David Drost war Mitglied und Solocellist des Bundesjugendorchesters und des European Union Youth Orchestra. Nach Aushilfstätigkeiten bei verschiedenen Berliner Orchestern (Berliner Philharmoniker, Deutsches Symphonie-Orchester, Orchester der Deutschen Oper) und als Solocellist der Radio-Philharmonie Hilversum ist er seit 2006 Mitglied des Konzerthausorchesters Berlin.

Als Mitglied der „Berliner Cellharmoniker” nahm er an zahlreichen internationalen Musikfestivals teil (u. a. Schleswig-Holstein, Rheingau, Mecklenburg-Vorpommern) und wirkte an Fernseh- und CD-Aufnahmen mit. (Januar 2010)

[/expand]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert