Januar 2004

[expand title=“Boris Blacher – Concertante Musik für Orchester“]

Boris Blacher wurde am 6. Januar 1903 als Sohn deutsch-baltischer Eltern in Niuzhuang (China) geboren. Berufs- und zeitbedingte Umstände führten die Familie nach Sibirien und in die Mandschurei. Bereits in jungen Jahren erhielt Blacher Klavier- und Violinunterricht. Schon früh war seine musiktheoretische Frühreife zu erkennen, als er mit erst sechzehn Jahren Puccinis Oper „Tosca“ neu orchestrierte. 1922 ging er nach Berlin, um dort an der Universität Architektur und Mathematik zu studieren, jedoch nur für zwei Jahre, da er sich in dieser Zeit für die musikalische Laufbahn entschieden hatte. Während des Studiums der Komposition und Musikwissenschaft an der Berliner Musikhochschule betätigte sich Blacher nebenher als Kopist, Kinomusiker und als Arrangeur von Tanz- und Unterhaltungsmusik. Nach dem erfolgreichen Abschluss seines Studiums erhielt er 1938 eine Anstellung als Kompositionslehrer am Dresdener Konservatorium, kehrte aber schließlich 1948 nach Berlin zurück und wurde dort zwischen 1953 und 1970 Direktor der Westberliner Musikhochschule (der heutigen Universität der Künste in Berlin). Innerhalb dieser Zeit war er Inhaber eines Lehrstuhls für elektronische Komposition.

Seine ersten Kompositionen bezeugten eine starke, später nicht nachlassende Neigung zur Oper und Ballett. Blacher setzte bei seinen Kompositionen vor allem ein System der variablen Metren ein, um eine musikalische Symmetrie mit vielen, teilweise mathematisch aufgebauten Taktwechseln zu durchbrechen (zum Beispiel„Klavierkonzert Nr. 2 in variablen Metren op. 42“). Zu seinem Oeuvre zählen Klavier- und Violinkonzerte, Opern, Oratorien, Kammermusik, Lieder, Ballette und eine Sinfonie. Den großen Durchbruch schaffte Blacher 1937 mit der Uraufführung der „Concertanten Musik“, die trotz des Widerstandes der Nationalsozialisten gegeben wurde. Das Werk gliedert sich in drei Teile (Tempoabfolge: molto allegro – moderato – molto allegro), denen eine kurze Einleitung vorangestellt ist. Diese Dreiteilung habe die 3-sätzige italienische Sinfonia aus der Zeit Alessandro Scarlattis als Modell gehabt, so Blacher in seinem Werkkommentar. Der erste Abschnitt mit seinem sich sofort einprägenden Quartenmotiv ist gekennzeichnet durch scharf rhythmische Strukturen, die manchmal einen Hauch von südamerikanischem Einfluss erkennen lassen. In diesem Werk, wie auch schon in den „Jazz-Koloraturen“, ist Blachers Zuneigung zum Jazz deutlich zu hören. Das polyphone Wechselspiel zwischen Bläsern, Streichern und Streichquartett lässt mögliche Rückschlüsse auf den Titel des Werks zu.Concertant ist hier wohl vom lateinischen concertare „wetteifern“ hergeleitet. Der hymnisch singende Mittelsatz bildet einen starken Kontrast zum sehr rhythmischen ersten Abschnitt. Über einem aus der Einleitung übernommenen Ostinato, welches zu Beginn in den Bratschen, anschließend auch in den Celli und Fagotten zu hören ist, liegt eine fortschreitende Kantilene, die zunächst von Solooboe und später von 1. und 2. Violine gespielt wird. Im Schlussteil werden die ersten beiden Abschnitte miteinander vereint: Einerseits die rhythmisch-polyphone Struktur mit deutlichen Jazzelementen, andererseits das Friedliche der Kantilene, wobei hier ihre Umkehrung ertönt.

Dass diesem Erfolg ursprünglich ein Missverständnis zugrunde lag, erzählte Blacher nicht ohne Belustigung: „[…] im Konzert passierte in den Anfangstakten – da sind so ein paar hässliche Synkopen – irgendein Kuddelmuddel im Orchester. Dem Orchester war das natürlich etwas peinlich, dem Dirigenten auch. Und am Schluss klatschten die Leute, nicht so gewaltig, dass die Philharmonie zusammenbrach, aber ich konnte mich doch zweimal verbeugen. Und weil nun anfangs das Malheur passiert war, stieg Schuricht noch einmal auf das Podium und spielte das Stück ein zweites Mal. Und am nächsten Tag stand in der Zeitung, wegen des Riesenerfolgs sei mein Werk wiederholt worden. Darauf haben die Dirigenten das Stück nicht nur angenommen, sondern sie haben sich bemüht, es in ihren Konzerten ebenfalls zu wiederholen. […]

Philip Niggemann, Januar 2004

[/expand]

[expand title=“Max Bruch – Violinkonzert g-moll op. 26″]

Max Bruch wurde am 6. Januar 1838 in Köln geboren. Von seiner Mutter, einer Musiklehrerin und Sopranistin, erhielt er seinen ersten Unterricht in Klavier und Komposition. Zu den ersten Kompositionsversuchen des Elfjährigen zählen eine Orchesterouvertüre sowie zahlreiche Kammermusikwerke. 1852 errang er mit einem Streichquartett den ersten Preis der Frankfurter Mozartstiftung und erhielt ein Stipendium an der Universität Köln, wo er 1853-57 bei Ferdinand Hiller (Komposition), Carl Reinecke und Ferdinand Breunung (beide Klavier) studierte. Im Alter von 20 Jahren kam Bruch als Musiklehrer nach Leipzig, später nach Köln. Hier erlebte er 1858 die Aufführung seiner dramatischen Vertonung von Goethes „Scherz, List und Rache“. Nach ausgedehnten Reisen 1861/62 nach Berlin, Leipzig, Dresden, Wien und München folgte ein zweijähriger Aufenthalt in Mannheim. 1865 wurde Bruch Musikdirektor in Koblenz, 1867 Hofkapellmeister in Sondershausen, worauf sich von 1871 bis 1878 Aufenthalte zunächst in Berlin und dann in Bonn anschlossen. In dieser Zeit widmete er sich ganz seinem kompositorischen Schaffen. Nach einer zweijährigen Tätigkeit als Dirigent des Sternschen Gesangvereins Berlin wurde er 1880 Direktor der Philharmonic Society in Liverpool. Mit einem Engagement als Direktor des Breslauer Orchestervereins beendete Bruch seine Dirigentenlaufbahn. Von 1891 bis zu seinem Tode am 2. Oktober 1920 lebte er fast ausschließlich in Berlin, wo er bis 1920 an der Königlichen Akademie der Künste Berlin Komposition unterrichtete.

Das Violinkonzert g-Moll op. 26 komponierte Max Bruch zwischen den Jahren 1864/67 und widmete es Joseph Joachim, der das mehrfach umgearbeitete Werk 1968 als Solist unter der Leitung von Karl Reinthaler in Bremen uraufführte. Joachim, den Bruch auf einer seiner Reisen nach Hannover kennen gelernt hatte, nahm maßgeblichen Anteil an der Entstehung dieses Werkes. Er richtete nicht nur den Strich ein, sondern änderte auch zahlreiche Stellen der Solovioline und setzte sich für den Titel „Konzert“ anstelle des von Bruch geplanten „Fantasie“ ein. Dieses geht aus einem regen Briefwechsel der beiden hervor.

Den kurz gehaltenen ersten Satz will Bruch als Vorspiel verstanden wissen. Aus der Ruhe des von den Holzbläsern vorgestellten Themas erhebt sich die Solovioline mit dem ersten Thema des Sonatensatzes. Nach einer kurzen Überleitung erklingt das zweite Thema in der Solovioline, begleitet durch einen Kontrapunkt der ersten Violine in der Gegenbewegung. Interessante Dialoge zwischen Solist und Orchester sowie elegische und pathetische Gedanken kennzeichnen den ersten Satz. Mit dem Verzicht auf die herkömmliche Solokadenz schließt sich das Adagio nach Mendelssohn’schem Vorbild direkt an. Das liedhafte, lyrische Thema des zweiten Satzes ist gebettet in einen dichten und warmen, romantischen Orchestersatz. Auf die Besinnlichkeit folgt das hochvirtuose Finale, geprägt durch das mit ungarisch-folkloristischer Färbung in Rhythmik und Melodik gestaltete Hauptthema und das pompöse Seitenthema. Das erste Motiv ist wahrscheinlich auf Joseph Joachim zurückzuführen (er selbst schrieb ein „Konzert in ungarischer Weise op. 11“). Die folgende Coda und das abschließende Stretta unterstreichen die Schlusswirkung des dritten Satzes.

Philip Niggemann, Januar 2004

[/expand]

[expand title=“Franz Berwald – Sinfonie Nr. 3 Singulière„]

Eigenart und Originalität

Franz Berwald ist der bemerkenswerteste schwedische Komponist des 19. Jahrhunderts.

Geboren am 23. Juli 1796 in Stockholm, wurde er mit sechzehn Jahren Geiger in der königlichen Hofkapelle. Seine kompositorischen Fähigkeiten eignete er sich fast ausschließlich autodidaktisch an. Die Reaktionen auf seine Kompositionen waren einerseits Bewunderung seiner Begabung, Kühnheit und Geschicklichkeit, andererseits aber auch große Verwirrung über die bizarre Originalität seiner Werke. Obwohl Berwald Zeitgenosse der großen Romantiker wie Schumann, Chopin und Berlioz war, blieb er von den damaligen stilistischen Strömungen fast völlig unberührt. Romantischer Subjektivismus und leidenschaftlicher Gefühlsüberschwang waren ihm fremd. Seine Musik blieb im Wesen der Klassik, insbesondere Beethoven verpflichtet.

Über die Entstehungsgeschichte der Sinfonie singulière ist nur wenig bekannt. Unter den 4 Sinfonien („sérieuse“, „capricieuse“, „singulière“, „naive“) stellt sie den Höhepunkt Berwalds Schaffens dar. Das Wort „singulière“ bedeutet u. a. eigenartig, originell. Berwald selbst wählte diese Bezeichnung für seine Sinfonie und bereitet so den Zuhörer auf ein besonderes Hörereigneis vor. Aber was ist so einzigartig an diesem Werk, dass es schon die Einzigartigkeit im Titel führt?

Wie das Leuchten der aufgehenden Sonne mutet das Quartenmotiv im Kopfthema des ersten Satzes an. Ein kraftvoll, selbstbewusst punktierter Rhythmus zieht sich durch den gesamten Satz. Immer wieder durchbricht der überschwänglich hochfahrende, volle Orchesterklang die zarte Zurückhaltung der Musik. Mit der Reprise scheint die Sonne unterzugehen. Die Melodie erstirbt. Doch als wolle Berwald den Zuhörer nicht in dieser Ungewissheit lassen, beendet er den ersten Satz mit einer kraftvollen Schlusswendung im Fortissimo.

Der schlichte, unsentimentale, aber dennoch bewegende Ausdruck des Adagios lässt erkennen, wie wenig Berwald mit den romantischen Konventionen seiner Zeit gemeinsam hatte. Der zweite Abschnitt des langsamen Satzes ist ein schönes Beispiel für den von ihm so gerne verwendeten Orgelpunkt. Doch plötzlich stört ein Paukenschlag im dreifachen Forte die Idylle. Ein turbulent dahintreibendes Scherzo wird vom Komponisten in den Rahmen des 2. Satzes eingefügt, dessen Kontrast zu dem friedvoll schwebenden Adagio nicht größer sein könnte. Nach einem abrupten Ende der Scherzos erklingt das Adagio mit seiner zauberhaften Melodie wieder, diesmal in umgekehrter Reihenfolge seiner Abschnitte.

Das große Finale mit seinem unwirsch grimmigen Hauptthema und den eigenwilligen Synkopen zeigt noch einmal ganz deutlich Berwalds Vorliebe für rhythmische Extravaganz, abrupte Dynamikwechsel und harte klangliche Kontraste. Mitten in dem stürmischen Finale erklingt plötzlich das schwebende Adagio-Thema wieder. Diese Reminiszenz an den zweiten Satz ist eine weitere fantasievolle Überraschung, die kaum den Vorstellungen entsprochen hat, die man zu Berwalds Zeiten mit einem Finale verband.

Aufgrund großer Verständnislosigkeit von Seiten des Publikums wagte Berwald zu Lebzeiten gar nicht erst, sein Werk zu veröffentlichen. Er selbst bekam es nie zu hören. Erst 60 Jahre nach seinem Tod, im Jahre 1905 wurde die Sinfonie singulière unter der Leitung des engagierten schwedischen Dirigenten Tor Aulin uraufgeführt und mit Begeisterung aufgenommen. Heute wissen wir, dass die Sinfonie singulière sowohl was ihre äußerlichen Merkmale betrifft, als auch bezüglich der musikalischen Innenwelt einzigartig ist. Und so hat sie nicht umsonst einen Platz in der sinfonischen Weltliteratur bekommen.

Lilli Mittner, Januar 2004

[/expand]

[expand title=“Solist: Alexander Bartha„]

Alexander Bartha, 1967 in Göttingen geboren, erhielt mit 8 Jahren seinen ersten Violinunterricht. Mit 15 Jahren ging er als Vorstudent an die Musikhochschule in Lübeck, wo er bei Prof. Haiberg studierte.

Nach mehreren Auszeichnungen auf Landes- und Bundesebene beim Wettbewerb „Jugend musiziert“ und einer regen Kammermusiktätigkeit an der Musikhochschule Lübeck, die auch Rundfunkproduktionen beinhaltete, begann er ab 1987 als Vollstudent in Lübeck zu studieren.

Seit dieser Zeit ist er regelmäßig als Solist in Deutschland wie auch in Ostasien und Westafrika aufgetreten.

Während eines dreijährigen Studienaufenthaltes in den USA bei Prof. Wallerstein am „Cleveland Institute of Music“ konnte er 1991 den Hochschulwettbewerb in Cleveland gewinnen und in der Folgezeit einige Male als Solist in Cleveland wie auch mit dem National Repertory Orchestra in Colorado auftreten. 1993 setzt Alexander Bartha sein Studium an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin bei Prof. Feltz fort und wechselte 1995 in die Klasse von Prof. Scholz. Dort schloss er sein Studium im Frühjahr 1996 mit dem Konzertexamen ab.

Von August 1995 bis Sommer 2002 war Alexander Bartha 1. Konzertmeister im Philharmonischen Orchester der Theater GmbH Altenburg-Gera.

Seitdem ist er 1. Konzertmeister im Staatstheater Wiesbaden und hat neben solistischen Auftritten und seiner Tätigkeit als künstlerischer Leiter des „Reussischen Kammerorchesters“ eine ausgiebige kammermusikalische Tätigkeit mit dem Klavierquartett „VIARDOT“. (Januar 2004)

[/expand]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert