Schlagwort-Archive: Claude Debussy

Januar 2013

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[expand title=“Claude Debussy – La Cathédrale engloutie“]

Denn was einmal begraben ist, / Das kann nicht wiederkommen.

Was Heinrich Heine schreibt, ist richtig in der Realität; Legenden erzählen jedoch, dass versunkene Städte gelegentlich auftauchen – ob es sich um Vineta, Rungholt oder eben Ys handelt. Aufstieg, Prachtentfaltung und dann plötzlicher Untergang, verschlungen von der Wucht und Kraft der Meereswogen, lebendig nur noch in Legenden und Sagen: dieses Motiv hat die Menschen zu allen Zeiten fasziniert.

Ich denk der alten Weise / die uns singt / Von den verlornen Städten

Kein Wunder, dass sich auch die Musik dieses Themas annahm! In „La Cathédrale engloutie“, erschienen 1910 im ersten Heft der „Préludes pour Piano“ und nachträglich durch Henri Busser orchestriert, greift der französische Komponist Claude Debussy die bretonische Legende von der versunkenen Stadt Ys auf, die im 4. oder 5. Jahrhundert wegen der Verkommenheit ihrer Bewohner versenkt wurde. Die Legende erzählt, dass die Stadt bei Sonnenaufgang als Mahnung aus den Fluten auftaucht, um anschließend wieder in den Wogen zu versinken. An klaren, windstillen Tagen sind die Glocken der untergegangenen Kathedrale zu hören. Diese Legende verarbeitet Debussy zu einem Musikstück. Wie soll man dieses unwirkliche Geschehen aber musikalisch zeigen bzw. zum Klingen bringen? Debussy „illustriert“ nicht die Legende mit musikalischen Mitteln, sondern macht gleichsam das Naturereignis des Auftauchens und Versinkens hörbar. Man muss die Legende nicht kennen, um diese Botschaft zu verstehen, und so sagte auch der Komponist selbst: „[…] ich habe eine tiefe Verachtung für Musik, die einem Stück Literatur nachläuft, das man einem vorsorglich beim Betreten des Saals in die Hand drückt. Sie werden also verstehen, welche beschwörende Kraft meine Musik haben muss […]“

Wo aus dem Meeresgrunde klingt / Glockengeläut und Beten

Das Prélude beginnt „profondément calme (dans une brume douce- ment sonore)“, auf Deutsch: „aus tiefer Stille (in einem sanften Klangnebel)“. Gedämpfte Glockenklänge scheinen aus der versunkenen Kathedrale an die Wasseroberfläche zu dringen. Das Aufsteigen der Kathedrale spiegelt sich in der Dynamik der Musik wider. Das Stück entwickelt sich aus dem Pianissimo. Nach einiger Zeit wird die Musik belebter, der Klangnebel beginnt sich zu lichten und das Thema der heraufsteigenden Kathedrale ist im Fortissimo zu hören: Die Kathedrale steigt vom Meeresgrund empor, um im vollen Glanz zu erscheinen: Sogar die Glocken sind deutlich in Form großer Akkorde zu hören (hier ein Ausschnitt aus der Klavierfassung): Es entsteht eine Klangbewegung, die auf einen Höhepunkt hin angelegt ist. Danach versinkt die Kathedrale wieder im Meer. Die Glocken verstummen in den Tiefen des Wassers, bevor das Stück in jenem „sanften Klangnebel“ verklingt, in dem es begonnen hat. Aus der Stille steigt der Klang empor und mündet wieder in Stille ein. Wir sind Zeugen des geheimnisvollen Auftauchens einer versunkenen Kathedrale geworden. Mir wird das Herz so bang und schwer „La Cathédrale engloutie“ fängt das Atmosphärische ein, die Stim- mung, die die Legende umgibt; der kurze Augenblick des Auftauchens der Kathedrale und ihr anschließendes Verschwinden weisen den Menschen auf seine Vergänglichkeit hin, aber auch auf die Weite und Tiefe seiner transzendenten Bezüge. Die Spannung zwischen Vergänglichkeit und Transzendenz wird erzeugt durch geheimnisvoll ineinanderfließende Schwebetöne, die das mysteriöse Aufsteigen und Sinken der Kathedrale hören und fühlen lassen. Damit folgt das Werk dem Credo seines Erschaffers: „Erhalten wir uns um jeden Preis diese geheimnisvolle magische Kraft der Musik.“

Kirsten Liebke

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[expand title=“Sergei Rachmaninoff – Die Toteninsel op. 29″]

In der Zeit von 1880 bis 1886 malte der schweizer Maler Arnold Böcklin (1827–1901) insgesamt fünf Versionen der „Toteninsel“. Die dritte, aus dem Jahr 1883, erfreute sich Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland großer Beliebtheit. Es gibt einige Werke in Literatur und Musik, die von diesem Gemälde inspiriert wurden. Das wohl bekannteste ist die sinfonische Dichtung op. 29 mit demselben Titel von Sergei Rachmaninoff. Der russische Komponist (1873– 1943) sah einen Schwarz-Weiß-Druck des Bildes, als er 1907 zu Gast in Paris war. Während seines Aufenthalts in Dresden stellte er 1909 das Werk fertig und es wurde im selben Jahr unter seinem eigenen Dirigat in Moskau uraufgeführt. Das Stück beginnt im 5/8-Takt und imitiert auf diese Weise die Ruderzüge Charons, des Fährmanns, der nach der griechischen Mythologie die Toten in die Unterwelt bringt und im Gemälde das Boot steuert. Auf dem weiten Weg zur Insel erinnert die Musik immer wieder daran, wie schön das Leben war; sie versucht gar, dem Tod etwas Positives abzugewinnen. Doch Charon hört nicht auf zu rudern, der unbarmherzige Rhythmus bleibt allem Sich-Aufbäumen zum Trotz. Schließlich ist im Musikstück die Insel erreicht und man muss sie betreten. Nun ist es ruhiger, man schaut sich um: es sieht zunächst nicht sehr bedrohlich aus. Von irgendwoher ist das Tropfen von Wasser zu hören, wie ein Herzschlag, der jedoch schließlich verlischt. Das Ende ist da: das bekannte „Dies Irae“-Motiv (auf Deutsch: „Tag des Zorns“), eine Melodie aus der gregorianischen Totenmesse, erklingt zum ersten Mal. Doch ist der Tod wirklich schon unabwendbar? Man erinnert sich – an die Bewegtheit des Lebens und die Fülle von Emotion, schwelgerisch, nicht imstande, es aufzugeben. Doch auch in dieses Traumbild dringen die düsteren Töne des „Dies Irae“ ein und zerstören die Illusion von Leben. Darauf folgt ein weiterer Anlauf: nach wie vor ist man noch nicht bereit für den Tod, man weigert sich, das Ende anzuerkennen. Man kämpft dagegen an, steigert sich immer weiter in den Todeskampf hinein, doch schließlich tritt, in Form eines machtvollen dissonanten Akkords, der Tod selbst auf: Ganz langsam kommt die Erkenntnis, dass es wirklich keinen Ausweg gibt. Was nun folgt, ist die Akzeptanz des Unabwendbaren, aber auch eine musikalische Rekapitulation der Reise zur Insel. Langsam macht man den Tod zu einem Teil von sich, und im verklingenden 5/8-Takt verstirbt zuletzt auch die Musik.

Gisela Grohne

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[expand title=“Alexander Zemlinsky – Die Seejungfrau“]

Der Komponist Alexander von Zemlinsky, am 14. Oktober 1871 in Wien in eine jüdische Familie geboren, war Komponist, Dirigent und Lehrer. Er gehört zu denjenigen Komponisten, die zwar heute keinen „großen Namen“ mehr haben, aber zu den großen Musikern ihrer Zeit zählten. 1893, nach Abschluss seines Studiums am Konservatorium, trat er dem Wiener Tonkünstlerverein bei. Hier lernte er Johannes Brahms kennen, der zwar seine Modernität kritisierte, ihn dennoch für begabt hielt und dem Verleger Simrock empfahl. 1938 floh er aufgrund der politischen Umstände nach New York, wo er am 15. März 1942 nach mehreren Schlaganfällen starb. Wichtig für Zemlinskys Werdegang war unter anderem die lange Freundschaft mit Arnold Schönberg, den er in dem musikalischen Verein Polyhymnia kennenlernte. Schönberg war dort Cellist, der laut Zemlinsky „ebenso feurig wie falsch sein Instrument mißhandelte“. Außer Schönberg war auch Alma Schindler entscheidend für Zemlinskys Entwicklung. Anfang 1900 hatte er die damals 21-Jährige kennen- gelernt, die ihn nach der ersten Begegnung bei einer Aufführung seiner Oper „Es war einmal …“ als „das komischste, was es gibt“ bezeichnete: „Eine Carricatur – kinnlos, klein, mit herausquellenden Augen und einem zu verrückten Dirigieren“. Dennoch fand sie Gefallen an ihm, erhielt Kompositionsunterricht bei ihm, und es entwickelte sich eine Liebesaffäre, die erst endete, als Alma ihren späteren Ehemann Gustav Mahler kennenlernte. Das Zerbrechen ihrer Beziehung war von großer Bedeutung für seine nachfolgenden Kompositionen, im Besonderen für die „Seejungfrau“ (nach dem gleichnamigen Märchen von Hans Christian Andersen), mit deren Komposition er einige Tage vor Almas Hochzeit mit Mahler begann. Die Geschichte der Seejungfrau nach Hans Christian Andersen Die Seejungfrau ist die jüngste und hübscheste der sechs Töchter des Meerkönigs. Wegen Erzählungen ihrer Schwestern wird in ihr die Sehnsucht geweckt, die Wasseroberfläche zu erkunden. Als es ihr mit 15 Jahren endlich erlaubt ist, dies zu tun, beobachtet sie die Matrosen auf einem Schiff – der Prinz, der gerade Geburtstag feiert, gefällt ihr am besten. Wegen eines Sturmes sinkt das Schiff und die Seejungfrau rettet den Prinzen an den Strand, wo er von einem Mädchen gefunden wird. Die Seejungfrau ist nun traurig, da der Prinz nicht weiß, wer ihn gerettet hat, und möchte auch zu einem Menschen werden. Deshalb geht sie zu der Meerhexe, die ihr Beine wachsen lässt, jedoch unter der Voraussetzung, dass sie ihre Stimme verliert und dass, wenn sich der Prinz nicht in sie verliebt, sie zu Schaum auf dem Meere wird. Stumm trifft sie den Prinzen, der sie in sein Schloss führt. Doch der Prinz liebt nur das unbekannte Mädchen, dem er vermeintlich seine Rettung verdankt. Sie heiraten, und da der erste Sonnenstrahl nach der Hochzeitsnacht den Tod der kleinen Seejungfrau bedeuten soll, machen ihr ihre Schwestern den Vorschlag, den Prinzen zu töten, denn in diesem Fall müsste sie nicht sterben und würde wieder zum Meereswesen. Sie entscheidet sich dagegen, verwandelt sich jedoch wider Erwarten zu einem Luftgeist, wodurch sie die Möglichkeit hat, durch gute Taten eine unsterbliche Seele zu erlangen und am ewigen Glück der Menschen teilzuhaben. Das Werk Aus Zemlinskys Aufzeichnungen geht hervor, dass er die Komposition der „Seejungfrau“ mit einer Motivtabelle begann. So ist zum Beispiel das erste Motiv, das am Anfang des ersten Satzes von der Klarinette vorgestellt wird, mit „Heimat“ überschrieben: Auch andere Motive tauchen immer wieder auf, wobei der Verlauf des Stückes nicht immer streng dem Märchen folgt. Die Seejungfrau erzeugte nach ihrer Uraufführung ein geteiltes Echo. Mancher Kritiker lobte das technische Können des Komponisten in Bezug auf die Orchestrierung und die Melodieführung: „Stets singt es aus dieser Musik heraus, der melodische Fluß ist nicht frei von Wirbeln und Stromschnellen, aber nirgends trifft man auf trübes Stauwasser, unpassierbare Tiefen.“ Andere Stimmen beurteilten das Werk jedoch als zu „fortschrittlich“, in einer durch Brahms geprägten Zeit nicht unbedingt ein Gütesiegel. Aufgrund der so unterschiedlich ausgefallenen Kritiken und sicherlich auch wegen Zemlinskys negativen emotionalen Verbindungen mit dem Werk verschwand die Seejungfrau nach der zweiten Aufführung in der Schublade und galt lange Zeit als verschollen. In den frühen 1980er Jahren haben Forscher das Werk erneut zusammensetzen können, sodass es 1984 schließlich zu einer dritten Aufführung kam. Seitdem ist das Werk als eines der reizvollsten Werke Zemlinskys in das Konzertrepertoire eingegangen.

Tobias Ackerschewski, Januar 2013

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