Schlagwort-Archive: Gustav Mahler

Februar 2012

[expand title=“Peter Tschaikowsky – Klavierkonzert Nr. 1 b-Moll op. 23″]

Peter Tschaikowsky, 1840 in Wotkinsk in eine eher musikferne Familie geboren, gilt heute als einer der bedeutendsten russischen Komponisten des 19. Jahrhunderts. Obwohl er seit seiner Kindheit durchgängig Klavier- unterricht genommen hatte, begann er sein Musikstudium erst nach Abbruch einer Beamtenlaufbahn. Tschaikowsky studierte zunächst am Petersburger Konservatorium, später am Konservatorium in Moskau, an dem er von 1866 bis 1878 auch als Lehrer für Musiktheorie tätig war. In diesen Moskauer Jahren entstanden seine ersten bekannteren Komposi- tionen, wie beispielsweise die Ouvertüre Romeo und Julia, welche die AOV im vergangenen Semester aufgeführt hat.
Durch die finanzielle Unterstützung der Kunstmäzenin Nadeschda von Meck, mit der ihn eine enge Brieffreundschaft verband, konnte Tschai- kowsky in seinen späteren Lebensjahren als freischaffender Komponist und Dirigent in Russland und im europäischen Ausland arbeiten, bevor er im Jahr 1893 überraschend in Sankt Petersburg verstarb.
Mit seinen Werken, in denen ein ursprünglicher, russischer Charakter mit westlichen Einflüssen zu einer europäischen Musiksprache des 19. Jahr- hunderts verschmilzt, errang Tschaikowsky Weltruhm, insbesondere auch mit seinem Klavierkonzert Nr. 1 op. 23 in b-Moll.
Dieses entstand 1874/75 in den Moskauer Jahren Tschaikowskys. Die Begleitumstände der ersten Schritte des später hoch geschätzten Werkes mögen auch heute noch erheitern: Tschaikowsky widmete das Konzert ursprünglich seinem Freund Nikolaj Rubinstein, der sich jedoch weigerte, das Werk zur Uraufführung zu bringen, da er es als wertlos, völlig unspiel- bar und als armselig komponiert erachtete. Also widmete Tschaikowsky sein Stück nun dem angesehenen Pianisten Hans von Bülow, der am 25. Oktober 1875 die Uraufführung spielte. Seinen wahren Erfolg und internationalen Durchbruch erlebte Tschaikowskys Klavierkonzert jedoch erst drei Jahre später in Paris – in der Interpretation eben jenes Rubinsteins, der seine Meinung zwischenzeitlich geändert hatte. Nach einem legendären Siegeszug gehört das Werk heute zu einem der am häufigsten aufgeführten und auf Tonträgern eingespielten Klavierkonzerte überhaupt.

Der Introduktion, einem Kopfsatz mit einer mitreißenden und eingängigen Melodie, verdankt das Konzert einen Großteil seiner Popularität. Hierbei handelt es sich um eine ursprünglich ukrainische Volksmelodie, die im Folgenden instrumental aufbereitet wird. In diesem Satz, der in b-Moll geschrieben wurde, finden sich neben einer effektvollen klangreichen Fassade auch viele Momente zarter Emotionen, was dem Werk seinen unverwechselbaren Charme verleiht.
Der zweite Satz in Des-Dur hat eher den Charakter eines Intermezzos. Im Mittelteil findet sich das phantasievoll gearbeitete Zitat des in jener Zeit populären französischen Chansons „Il faut s’amuser, danser et rire“ („Man muss sich vergnügen, tanzen und lachen“).
Der dritte Satz ist als formal übersichtliches Rondo gestaltet, innerhalb dessen Tschaikowsky wieder mit einigen temperamentvollen Tanzmelo- dien auf Elemente der ukrainischen Folklore zurückgreift. So schlägt er elegant einen Bogen zum ersten Satz des Klavierkonzertes.
Heutzutage wird der dritte Satz aufgrund seiner übermäßigen Länge meistens nicht in seiner Vollständigkeit gespielt, sondern in einer verkürz- ten Version, die auf den Pianisten Alexander Siloti zurückgeht.

Kirsti Mehling, Februar 2012

[/expand]

[expand title=“Gustav Mahler – Symphonie Nr. 5″]

Gustav Mahler (1860-1911) war einer der berühmtesten Dirigenten seiner Zeit. Er komponierte eigentlich nur in seiner Freizeit; die meisten seiner Werke sind Orchesterwerke und Lieder.
Die 5. Sinfonie leitet Mahlers mittlere Schaffensphase ein. Mit der Kompo- sition begann er im Sommer 1901 in seiner Villa am Wörthersee, und zu- nächst wollte er den klassischen viersätzigen Stil einhalten. Im Winter desselben Jahres lernte er allerdings Alma Schindler kennen, die er kurz darauf auch heiratete. Wahrscheinlich aus diesem Grunde fügte er zwischen dem dritten und (ursprünglich) vierten Satz als „Liebeserklä- rung“ das Adagietto ein, sodass die Sinfonie heute fünf Sätze hat. Obwohl häufig die Tonart cis-Moll angegeben ist (die Tonart des ersten Satzes), hat doch jeder Satz eine eigene Tonart, weshalb Mahler gerne ganz auf die Tonartbezeichnung verzichten wollte. Im Sommer 1902 beendete der Komponist seine Arbeit an der Sinfonie, und sie wurde am 18. Oktober 1904 in Köln unter seiner Leitung aufgeführt. Noch bis zu seinem Tod hat er Änderungen an der Partitur vorgenommen.
Da Gustav Mahler eigentlich Dirigent war, hat er in seinen Werken sehr detaillierte Ausführungsanweisungen gegeben: So finden sich in der Parti- tur Kommentare wie: „Anmerkung für den Dirigenten: Geigen stets so vehement als möglich!“
Mahler hat die Sinfonie in drei „Abteilungen“ gegliedert: der sehr lange dritte Satz steht für sich allein, während der erste und zweite sowie der vierte und fünfte Satz jeweils zusammengefasst sind. Zwischen den Abteilungen hat der Komponist jeweils eine mehrminütige Pause vorgesehen.

Der erste Satz der Sinfonie trägt die Bezeichnung Trauermarsch (In gemessenem Schritt. Streng. Wie ein Kondukt). Er beginnt mit einer Trompetenfanfare, die zunächst das berühmte Motiv aus Beethovens 5. Sinfonie imitiert. Dem leidenschaftlicheren Mittelteil folgt eine Coda in Anlehnung an den Anfang, die wiederum das Beethoven-Motiv aufgreift. Der zweite Satz, eigentlich Hauptsatz der Sinfonie, verwendet themati- sches Material des ersten Satzes und schließt damit die erste Abteilung der Sinfonie.
Es folgt ein recht flottes Scherzo mit Solo-Horn. Dieser Satz bildet für sich allein die zweite Abteilung. Mahler gibt hier an mehreren Stellen den Klarinetten die Anweisung, die „Schalltrichter in die Höhe“ zu halten – ein weiteres Beispiel für die ausführlichen Anweisungen des Komponisten.

Die letzte Abteilung beginnt dann mit dem berühmten Adagietto, welches auch in dem Film „Tod in Venedig“ (1971) von Luchino Visconti verwendet wurde. Es folgt ohne Pause das Rondo–Finale, in dem Mahler den ba- rocken Kontrapunkt benutzt, eine Kompositionsform, bei der mehrere Themen gleichzeitig erklingen.

Gisela Grohne, Februar 2012

[/expand]

[expand title=“Solistin: Hisako Kawamura“]

kawamuraHisako Kawamura wurde in Nishinomiya (Japan) geboren und bekam ihren ersten Klavierunterricht im Alter von fünf Jahren bei Kyoko Sawano.

Zu ihren Mentoren gehö- ren Malgorzata Bator-Schreiber in Göttin- gen, die sie musikalisch und künstlerisch aufbaute, und Prof. Vladimir Krainev,

der sie zu einer musikalischen Persönlichkeit formte.
Nach zahlreichen herausragenden Erfolgen bei internationalen Klavierwettbewerben begann Kawamuras internationale Konzerttätigkeit. Sie gewann u. a. den Concours Clara Haskil in Vevey, den Concorso G. B. Viotti in Vercelli, den Concorso A. Casagrande in Terni, den Chopin-Wettbewerb Darmstadt und wurde Preisträgerin des Concours Géza Anda in Zürich, des Internationalen Musiwettbewerbs der ARD in München und des Concours Reine Elisabeth in Brüssel.
Sie konzertierte mit internationalen Orchestern (u.a. dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, Wiener Symphoniker, Berner Symphonieorchester, St. Petersburg Philharmonic Orchestra, Tokyo Philharmonic Orchestra, Japan Philharmonic Orchestra) und arbeitete mit Dirigenten wie Alexander Dmitriev, Vladimir Fedosseyev, Theodor Guschlbauer, Junichi Hirokami, Taijiro Iimori, Eliahu Inbal, Marek Janowski, Kenichiro Kobayashi, Kazuhiro Koizumi, Fabio Luisi, Erwin Lukac und Tatsuya Shimono zusammen.
Im Oktober 2011 trat sie als Solistin mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Marek Janowski auf dessen Japan-Tournee auf.

Außerdem ist für Juni 2012 eine Tournee mit dem Russian National Orchestra unter der Leitung von Mikhail Pletnev geplant.
Im 2009 erschien ihre Debüt-CD mit dem Titel Hisako Kawamura plays Chopin bei RCA Red Seal.

Im Herbst 2011 folgte die zweite Aufnahme bei dem gleichen Label, mit Werken von Schumann und Chopin, welche begeisterte Stimmen von der Presse bekam.

1986 – 1998 Klavierunterricht bei K. Sawano-Krall in Düsseldorf und M. Bator-Schreiber in Göttingen
seit 1998 Studentin an der Hochschule für Musik und Theater Hannover in der Klasse von Prof. V. Krainev
1994, 1996 1. Bundespreise bei „Jugend musiziert“
1995 – 1996 Preisträgerin von mehreren internationalen Wettbewerben wie z. B. in Senigallia/Italien, Ettlingen/Deutschland
1998 1. Preis und Spezialpreis für die beste Interpretation des spanischen Werkes in Carlet (Valencia)/Spanien
1999 1. Preis und Publikumspreis beim Europäischen Chopin-Wettbewerb in Darmstadt/Deutschland
2001 1. Preis beim Internationalen Musikwettbewerb „G. B. Viotti“ in Vercelli/Italien
2002 5. Preis und Sonderpreis für die beste Interpretation des chinesischen Werkes beim 1. China Shangai International Youth Piano Competion
1994 2. Preis und alle 4 Sonderpreise (Sonderpreis für die beste Interpretation des französischen Pflichtwerkes (G. Connesson), Publikumspreis, Preis der Musikzeitschrift „Classica“ und Preis des Fernsehsenders TV 2) bei Piano Campus in Cergy-Pontoise/Frankreich
1996 IBACH-FörderpreisWettbewerbsstipendium der Chopin-Gesellschaft Hannover
1999 Förderpreis beim Internationalen Musikfestival in Dietzenbach/Deutschland
seit 1995 Klavierabende, Konzerte mit Orchestern und kammermusikalische Tätigkeit in verschiedenen Städten Deutschlands, Österreichs, Frankreichs, Hollands, Italiens, Polens, Tschechiens, Zyperns und Japans
1996 Rundfunkaufnahme beim Norddeutschen Rundfunk

 

(Juni 2002)

[/expand]

Juni 2010

[expand title=“Ludwig van Beethoven – Klavierkonzert Es-Dur op. 73″]

Beethovens Großvater kam 1733 nach Bonn. Er wurde dort Hofmusiker und 1761 Kapellmeister. Auch Beethovens Vater war am Kurfürstlichen Hof als Musiker tätig, als Sänger; er war ein guter Geiger und gab außerdem Gesangs- und Klavierstunden. Schon in früher Kindheit wurde Beethoven vom Vater unterrichtet. 1779 kam der Komponist Christian Gottlob Neefe nach Bonn. Er wurde Beethovens Lehrer für Klavier, Generalbass und Komposition, unter anderem war Bachs Wohltemperiertes Klavier Gegenstand dieses Unterrichts. Neefe erkannte rasch die überragende Begabung seines Schülers und vertrat im März 1783 in Cramers Magazin der Musik die Ansicht: „Er würde gewiss ein zweiter Wolfgang Amadeus Mozart werden, wenn er so fortschritte, wie er angefangen.“

1784, als Dreizehnjähriger, erhält Beethoven eine Anstellung als Hoforganist, neben seinem Lehrer Neefe. 1789 wird die Bonner Hofoper eröffnet: Beethoven wirkt für mehrere Spielzeiten als Bratschist mit, unter anderem werden Mozerts Opern Die Entführung aus dem Serail, Le Nozze di Figaro und Don Giovanni aufgeführt. Nachdem ihn schon 1787 eine kurze Reise für Unterricht bei Mozart nach Wien geführt hatte, bereitet Beethoven Ende 1792, ein Jahr nach Mozarts Tod, seine längerfristige Übersiedlung nach Wien – damals die musikalisch führende Stadt Europas – vor, um bei Haydn zu studieren; es folgen nach Haydns Abreise nach London Studien bei Albrechtsberger und 1799 bei Salieri. Im März 1795 findet der erste öffentliche Auftritt im Burgtheater statt, Beethoven spielt vermutlich sein 1. Klavierkonzert – bei der Probe am Vortag soll er den Solopart in Cis-Dur gespielt haben, da der Flügel zu tief gestimmt war! Wenige Monate später erscheint das erste große Werk im Druck, die Trios op. 1.

Beethoven komponierte, abgesehen von einem Frühwerk von 1784, fünf Klavierkonzerte. Nr. 2 B-Dur op. 19 wurde noch vor Nr. 1 C-Dur op. 15 komponiert, aber etwas später, ebenfalls 1801 veröffentlicht. Bereits zwei Jahre darauf folgte die Uraufführung von Nr. 3 C-Moll op. 37, veröffentlicht 1804. An Nr. 4 G-Dur op. 58 arbeitete der Komponist in den Jahren 1804–1807, die Uraufführung kam wie die Veröffentlichung 1808. Im gleichen Jahr bot ihm Jerôme Bonaparte, der 1807–1813 in Kassel als „König von Westfalen“ residierte, eine Kapellmeisterstelle an und Beethoven zog dieses Angebot ernstlich in Erwägung. Es kam aber infolgedessen zu einem für die damalige Zeit einzigartigen Vertrag:

„[…] so haben Unterzeichnete den Entschluß gefaßt, Herrn Ludwig van Beethoven in den Stand zu setzen, dass die nothwendigsten Bedürfnisse ihn in keine Verlegenheit bringen, und sein kraftvolles Genie hemmen sollen“. Beethovens Förderer Kronprinz Rudolf und die böhmischen Fürsten Lobkowitz und Kinsky sagten dem Komponisten damit eine lebenslange Rente zu, wofür er sich in Wien aufzuhalten und zu komponieren hatte, und zwar was und wann er wollte.

Kurz darauf begann Beethoven mit der Niederschrift seines 5. Klavierkonzerts Es-Dur op. 73. Wie schon Nr. 4 (und viele weitere Werke) ist es Erzherzog Rudolf gewidmet, der auch Beethovens einziger Kompositionsschüler war. Da Beethoven ihn anhand dieses Konzertes unterrichtete, gibt es in den vorhandenen Handschriften viele Eintragungen und besondere Ausarbeitungen, die Einblicke in sein didaktisches Vorgehen bieten. Außerdem bereitete er die Partitur sorgfältig für die Veröffentlichung vor, die dann 1811 erfolgte, da er wegen seines nachlassenden Gehörs nicht selbst die Uraufführung spielen konnte. Ungewöhnlich ist auch, dass Beethoven eine eigene Kadenz des Solisten ausschloss.

Dagmar Escudier, Juni 2010

[/expand]

[expand title=“Gustav Mahler – Symphonie Nr. 1 D-Dur“]

Gustav Mahler wurde 1860 als Sohn einer jüdischen Familie in Kalischt (Böhmen) geboren. Bereits früh zeigte sich seine überdurchschnittliche musische Begabung, die ihn dazu veranlasste, mit 15 Jahren am Konservatorium in Wien Klavier und Komposition zu studieren. Ab 1880 verdingte er sich als Kapellmeister an verschiedenen Theatern, komponierte aber neben dieser Tätigkeit stets weiter.

Seine erste Symphonie ist die Schöpfung eines 28-Jährigen, der in der Öffentlichkeit bis dato eher als „komponierender Dirigent“ denn als „dirigierender Komponist“ wahrgenommen wurde. Das Werk entstand in nur sechs Wochen und ist das Resultat eines rauschhaften Arbeitsprozesses im Frühjahr 1888. Am 18. November 1900 dirigierte Mahler die Uraufführung seiner ersten Symphonie im Rahmen eines philharmonischen Konzertes in Wien. Die extreme Intensität und die ungeheuere Vielfalt des Ausdrucks begründet die Neuheit der Mahlerschen Musik und erklärt zugleich die Irritationen, die sie bei seinen Zeitgenossen hervorrief. Die zahlreichen Änderungen und Neuerungen, denen Mahler seine erste Symphonie unterwarf, zeigen, wie sehr sich der später gefeierte Wiener Hofoperndirektor der Neuartigkeit seines Werkes bewusst war und wie sehr er darum bemüht war, seine Klangsprache dem Publikum näher zu bringen. So versah Mahler seine Komposition mit programmatischen Satztiteln, die dem Publikum das Verständnis erleichtern sollten, und gab ihr den an einen Roman von Jean Paul angelehnten Titel „Titan, eine Tondichtung in Symphonieform“, dennoch verzichtete er recht bald wieder auf diese Zusätze.

Gustav Mahlers erste Symphonie bildet bis heute zusammen mit den nachfolgenden acht Symphonien sowie seinen Klavier- und Orchesterliedern ein Kernstück des symphonischen Repertoires.

1. Satz
Schon zu Beginn von Mahlers erster Symphonie ist klar, dass es sich dabei wohl um ein Erstlings-, aber kein Anfangswerk handelt. Der unverwechselbare Mahlersche Ton ist bereits hier in aller Deutlichkeit ausgeprägt, und alles, was von den Mahlerexperten der letzten hundert Jahre als das Charakteristische seiner Symphonik hervorgehoben wurde, lässt sich mühelos finden: die über das rein Musikalische hinausweisende Sprachhaftigkeit der Musik, das schmerzvolle Hin- und Hergerissensein zwischen größten emotionalen Extremen, zwischen Todesnähe und Euphorie und das Nebeneinander der unterschiedlichsten musikalischen Stile vom scheinbar harmlosen Volksliedton bis hin zur strengen Polyphonie.

So beginnt die Symphonie mit einem Naturlaut, einem hohen Flageolettton in den Streichern, aus dem heraus die Welt allmählich aus ihrem Winterschlaf erwacht. Nach und nach ist ein Vogelruf zu vernehmen, die Kuckucksquarte erklingt und diverse Signale, die Sendboten einer bewohnten Gegend gleichen, treten später hinzu. Langsam, aber sicher erwacht die symphonische Welt Gustav Mahlers, in der nun ein fahrender Geselle auf das textlose Marschlied „Ging heut` Morgen übers Feld“ ausschreitet, welches aus seinen früheren Gedichtvertonungen der „Lieder eines fahrenden Gesellen“ stammt. Im Folgenden wird das Lied musikalisch verarbeitet.

Wesentlich ist die zyklische Konzeption der Symphonie. Unter den motivischen Verwandtschaften ist das Quartmotiv das markanteste, wodurch alle Sätze eng miteinander verflochten sind. Zahlreiche Vor- und Rückgriffe verdeutlichen den ideellen Zusammenhang, in dem die beiden Außensätze zueinander stehen und innerhalb dessen das Finale manches zu klären vermag, was der Eröffnungssatz an Fragen aufgeworfen hat.

2. Satz
„Aber Symphonie heißt mir eben: mit allen Mitteln der vorhandenen Technik eine Welt aufbauen.“ Diese Äußerung Mahlers über sein eigenes Schaffen kann nicht wörtlich genug genommen werden. Denn neben den Einflüssen der klassischen und romantischen Musik gehören zu seinem Werk eben auch das Musiziergut seiner Heimat, Marschrhythmen und Militärsignale, banale Gassenhauer und sentimentale Melodien. All diese Elemente finden gleichberechtigten Eingang in seine hoch differenzierte Tonsprache, und die Diskrepanz zwischen den beiden Sphären der Gebrauchs- und Kunstmusik ist mit verantwortlich für den speziellen Reiz, aber auch die Gebrochenheit der Mahlerschen Tonsprache.

Anzumerken ist, dass Mahler als zweiten Satz seiner Symphonie keinen langsamen Satz darbietet, sondern den Formtyp einen Scherzos wählt, welches der Musikkundige eigentlich an dritter Stelle einer Symphonie wähnt.

Das Scherzo gleicht einem massiv instrumentierten Bauerntanz, dessen kräftig bewegte Tanzmelodie im überraschend zarten Trio von sanften Streicher- und Holzbläserklängen abgelöst wird. Diese zaubern die ländliche Idylle eines grazilen Ländlers in den Violinen und Oboen hervor, dem später ein kantabler Walzer der Celli folgt. Doch schon bald darauf wird die ländliche Szene durch die Wiederkehr des Scherzos gebrochen. So kann man sagen, dass im zweiten Satz wohl die Symphonie auf den bunten Boden der Realität gefallen ist.

3. Satz
Im vorletzten Satz der ersten Symphonie zeigt sich die vielfach irritierende Originalität von Mahlers Kompositionsstil wohl am deutlichsten. Der Komponist betitelte ihn als „einen Trauermarsch in Callots Manier“. Die äußere Anregung zu diesem Teil der Symphonie erhielt Mahler durch das damals in Süddeutschland allen Kindern wohlbekannte parodistische Bild „Des Jägers Leichenbegräbnis“ aus einem alten Kindermärchenbuch. Hier werden die Tiere des Waldes portraitiert, wie sie den Sarg des verstorbenen Försters zu Grabe tragen.

Grundelement des Satzes ist der heute noch bekannte Kanon „Bruder Jakob“, eine populäre Melodie einfachster Bauart. Mahler entwickelt den Kanon jedoch nicht als unbeschwertes Studentenlied in Dur, sondern lässt durch seine Instrumentation und Phrasierung einen bizarren Trauermarsch in Moll entstehen, der trotz vielgestaltiger ironisierender Elemente einen zutiefst traurigen Unterton hat. Man kann fast meinen, dass sich Mahler bei seiner Begräbniskarikatur an das Gespiele der Blasmusik bei den Leichenbegräbnissen seiner mährisch-böhmischen Heimat erinnerte, bei denen nach der Beisetzung die Blaskapelle, kaum dass sie das Friedhofstor verlassen hatte, mit heiteren Marsch- und Polkaklängen in das nächste Wirtshaus marschierte, um die ausgetrockneten Kehlen anzufeuchten.

4. Satz
Eine Freundin Gustav Mahlers bemerkte zum vierten Satz, dass Mahler das Finale dankenswerterweise ohne größere Unterbrechung zum vorhergehenden Satz geschrieben habe, denn so konnten die vom vorhergehenden grausigen Scherz aufgewühlten Hörer nicht den Konzertsaal verlassen. Ein Hörer beschreibt Ende des 19. Jahrhunderts seinen Eindruck wie folgt:

„Wenn die Töne des Trauermarsches verklungen sind, folgt eine lange Pause. Dann auf einmal gellt das Becken, die Klarinetten und Geigen schreien schrill auf, die Pauke donnert drein, die Posaunen brüllen; mit einem Wort, alle Instrumente toben in einem verrückten Hexentanz. Dann kehren nach und nach einige Themen und Motive des ersten Teils wieder, um schließlich abermals in einem wilden Bacchanal zu ersticken.“

Mahler fand zum Schluss seiner ersten Symphonie die richtige Apotheose, obwohl seine Musik bitter und sarkastisch ist und er das Elend der Menschen im Zeitalter des Fin de siècle vielleicht sogar prophetisch schildert. Er hat in seiner Musik gezeigt, wohin die Menschheit gehen wird. Er hat die Grausamkeit der Kriege vorausgesehen. Manches klingt in diesem letzten Satz wie eine Appassionata des Untergangs einer Gesellschaft, die schon lange vor dem ersten Weltkrieg todkrank war, sich aber Gesundheit ins Gesicht geschminkt hat.

Kirsti Mehling, Juni 2010

[/expand]

[expand title=“Solistin: Julia Bartha„]

Alexander Bartha, 1967 in Göttingen geboren, erhielt mit 8 Jahren seinen ersten Violinunterricht. Mit 15 Jahren ging er als Vorstudent an die Musikhochschule in Lübeck, wo er bei Prof. Haiberg studierte.

Nach mehreren Auszeichnungen auf Landes- und Bundesebene beim Wettbewerb „Jugend musiziert“ und einer regen Kammermusiktätigkeit an der Musikhochschule Lübeck, die auch Rundfunkproduktionen beinhaltete, begann er ab 1987 als Vollstudent in Lübeck zu studieren.

Seit dieser Zeit ist er regelmäßig als Solist in Deutschland wie auch in Ostasien und Westafrika aufgetreten.

Während eines dreijährigen Studienaufenthaltes in den USA bei Prof. Wallerstein am „Cleveland Institute of Music“ konnte er 1991 den Hochschulwettbewerb in Cleveland gewinnen und in der Folgezeit einige Male als Solist in Cleveland wie auch mit dem National Repertory Orchestra in Colorado auftreten. 1993 setzt Alexander Bartha sein Studium an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin bei Prof. Feltz fort und wechselte 1995 in die Klasse von Prof. Scholz. Dort schloss er sein Studium im Frühjahr 1996 mit dem Konzertexamen ab.

Von August 1995 bis Sommer 2002 war Alexander Bartha 1. Konzertmeister im Philharmonischen Orchester der Theater GmbH Altenburg-Gera.

Seitdem ist er 1. Konzertmeister im Staatstheater Wiesbaden und hat neben solistischen Auftritten und seiner Tätigkeit als künstlerischer Leiter des „Reussischen Kammerorchesters“ eine ausgiebige kammermusikalische Tätigkeit mit dem Klavierquartett „VIARDOT“. (Januar 2004)

[/expand]